Vier Wohneinheiten und drei Generationen unter einem Dach: Das Mehrgenerationen-Haus in Bäretswil
Drei Generationen unter einem Dach - einst war dies selbstverständlich, insbesondere bei Bauernhäusern. Mit veränderten Erwartungen, mit neuen Ansprüchen an Privatsphäre, räumliche, sanitäre und akustische Trennung kam das gemeinsame Wohnen sozusagen aus der Mode. Seit wenigen Jahren machen Mehrgenerationen-Häuser wieder von sich reden. Im Altbau sind sie eine Herausforderung, im Denkmalpflege-Objekt erst recht. Im Zürcher Oberland ist in mehreren Etappen ein Mehrgenerationen Haus entstanden. In jeder ging es darum, den einzelnen Generationen genügend Platz und Privatheit zu belassen. Aber auch den Auflagen der Denkmalpflege zu entsprechen. Jede Bauphase wurde konsequent nachbaubiologischen Kriterien umgesetzt.
Der Weiler Vorderbettswil bei Bärteswil ZH liegt in einer sanften Landschaft: Hügelzüge, Wiesen, Obstbäume, Wald. Ein paar Häusergruppen. In einzelnen wohnen aktive Landwirte, die anderen sind ehemalige Bauernhäuser. Eines hat Peter Sulser - Architekt und Baubiologe im benachbarten Hinwil ZH - in mehreren Bauetappen zu einem Mehrgenerationenhaus umgebaut.
Angefangen hat es vor zehn Jahren mit dem Umbau der Küche. Es war nicht klar, wie weit die Erneuerung gehen sollte. Beim dritten Gespräch zwischen Eigentümer-Paar und Architekt fiel unter anderem der Satz «Einfachheit hatten wir jetzt 20 Jahre lang. Jetzt wollen wir etwas anderes». Moderne Küche, mehr Licht, andere Farben. «Ich wollte möglichst nach den Bedürfnissen des Eigentümer-Paares planen», sagt Peter Sulser. Mit fixen Vorstellungen und fertigen Plänen auf die Bauherrschaft zuzugehen, davon hält er nichts. In zahlreichen Treffen wurden Bedürfnisse erörtert. Es wurde skizziert, geändert und wieder neu begonnen. Daneben gab es auch den einschränkenden Rahmen eines denkmalpflegegeschützten Objektes zu beachten. Fast zwangsläufig wurde es mehr als nur ein Küchenumbau, auch die Heizung musste erneuert werden, Installationen ersetzt werden … «Wir hatten eine lange Entwicklungsphase», blickt Peter Sulser zurück. Just auf Weihnachten hin konnte die Küche bezogen werden.
Mit der neuen Küche und der neuen Heizung hatte das Leben im alten Bauernhaus eine veränderte Qualität erhalten. Zwei Jahre später flogen die Kinder aus. Damit entstanden neue Fragestellungen und auch neue Bedürfnisse. An Peter Sulser lag es, in mehreren Studien darzustellen, was man mit dem Baukörper des historischen Bauernhauses überhaupt tun kann. Einfach eine Wohnung einzubauen, um sie an die Dritte zu vermieten, kam nicht in Frage. Vielmehr gab es den Anspruch, dass die Kinder jederzeit heimkommen oder später wieder hier wohnen zu können.
Was also machen wir mit dem Haus? Den geräumigen Dachraum zu Wohnzwecken umzubauen, bot sich geradezu an. Aber einfach im Dach zu wohnen und die neue Küche im Erdgeschoss zu nutzen, war keine Option. Die Lösung bestand schliesslich darin, Erdgeschoss und 1. Stock zu einer Wohnung zusammenzuführen. Und das Dachgeschoss zu einer Atelierwohnung mit eigener Nasszelle und Kochnische zumachen.
Doch bis es soweit war, waren viele Gespräche und mehrere «Touren» durch das Haus nötig. Das Eigentümer-Paar wählte zusammen mit dem Architekten einen ungewöhnlichen Weg. Mehrmals machten sie einen Rundgang mit verbundenen Augen. Was genau spüren wir? Was für Klänge und Töne? Welche Art von Gerüchen und Geräuschen? Wie fühlt es sich an? Der Architekt führte Protokoll. Aufgrund dieser Aufzeichnungen war für Peter Sulser der Weg klar. Sein Entwurf war schnell akzeptiert und damit konnte das Umbauprojekt konkrete Formen annehmen.
Wer ein Haus umbaut, das gut und gern 200 Jahre alt ist, muss mit Überraschungen rechnen. Das erfordert eine rollende Planung, und immer wieder mussten neue Lösungen gefunden und Details von Grund auf neu entwickelt werden. So gab es ein Balkongeländer aus Holz: stehende Bretter, die halt auch den Nachteil hatten, dass sie viel Licht «frassen». Die Antwort war ein Geländer aus Drähten: Licht geht kaum verloren und das Bild der Seitenfassade wird in keiner Weise gestört.
Dieses Beispiel zeigt, dass Peter Sulser stark vom Handwerk her kommt, und vor allem dass er keinen Aufwand zu scheuen scheint, wenn es um die Lösung von selbst noch so kleinen Details geht. Ein Beispiel mag auch der Spiegel in der Nasszelle des Dachgeschosses sein. Er zeichnete sechs Lehren bis es dann stimmte. «Natürlich ist das aufwendig, aber es ist auch für den Architekten ein gutes Gefühl, wenn eine Lösung realisiert werden kann, die für alle stimmt.»
Bei Wänden und Decken ist viel mit Sumpfkalk gearbeitet worden. Peter Sulser schätzt den Sumpfkalk, weil er sich gut bearbeiten lässt und weil er später pflegeleicht ist. Die Farbgebung erfolgte vielfach aus dem Gefühl heraus. Auffallend das Rot des Kamins: der warme Ton zieht sich nun durchs ganze Haus.
Isoliert wurde mit Zellulose. «Auch beim baubiologischen Schaffen ist es mir wichtig, energetische Vorschriften zu übertreffen und neue Technologien einzubinden, um den Fussabdruck klein zuhalten und die Ressourcen zu schonen», führt Peter Sulser aus. Für ihn ist klar, dass bei ökologischen Bauteilen die CO2-Bilanz immer wesentlich besser ist als im konventionellen Bau. Aufgrund von radiästhetischen (Ver)Mutungen wurden Feldveränderungen mittels Steinsetzung nach Bauhütten-Tradition vorgenommen.
Nach der zweiten Bauetappe - ausgeführt 2017/2018 - tat sich eine neue Türe auf. Der angebaute Hausteil wurde frei und konnte gekauft werden. Darin hatte sich einst der Stall befunden und war dann vor mehreren Jahren zu einem separaten Wohngebäude umgebaut worden. Mit dem Erwerb dieses Hausteils war der Weg frei, den gesamten Gebäudekomplex als Mehrgenerationen-Haus zu konzipieren. Nun galt es die Bedürfnisse aller künftigen Bewohner:innen mit einbeziehen: das Besitzer-Ehepaar, die Tochter mit ihrer Familie und die neue Familie aus dem Freundeskreis der Tochter.
Die neu dazu gekommene Wohneinheit wurde nur sanft renoviert. Die bestehenden Lehmputze wurden aufgefrischt, die Holzböden geschliffen und neu geölt. Der grösste Eingriff fand im bestehenden Gewerberaum (der als Kuhstall diente) statt. Hier entstand ein Wohn/Schlafraum mit Nassbereich und einer Kochnische. Die Wände und die Decke wurden vom Lehmbauer neu erstellt. Bei diesem Gestaltungsprozess wurden alle mit einbezogen. «Das hat mich sehr berührt», blickt Sulser zurück.
Bei den Wohnungen gibt es das klassische Nebeneinander: eine zweistöckige Wohnung im Haupthaus, die andere im einstigen Oekonomiegebäude. Auf der einen Seite ist der Wohn/Arbeitsbereich des einen Elternteils zuoberst, auf der anderen zuunterst. Damit erhält das Mehrgenerationen-Haus zusätzlich eine diagonale Struktur.
Das Haus zeichnet sich auch durch seinen grosszügigen, naturnahen «äusseren Wohnraum» aus. Rund um das Haus lädt eine eigentliche Oase zur Entspannung und zum Verweilen ein, aber auch zur Belebung der Sinne. Auch ein sehr grosser Nutzgarten (Permakultur) und ein «Place de Petanque» gehören dazu.
Gute, gesunde Materialien sind wichtig - für einen Baubiologen ist das selbstverständlich. Mehr noch: auch Ambiente und Ausstrahlung müssen stimmen. Jeder Raum - auch Treppenhaus und Nasszellen - hat im Mehrgenerationen-Haus Bäretswil Atmosphäre und Schwingung. «Jeder Raum, in dem sich Menschen aufhalten, soll ihnen gut tun», das ist ein hoher Anspruch. Peter Sulser versucht diesem Anspruch gerecht zu werden, indem er die Bedürfnisse abholt, indem er Atmosphäre und Schwingung grosses Augenmerk schenkt. «Bauen für Seele soll der Leitfaden sein. Wenn es für die Bewohner:innen stimmt, dann ist es auch für mich als Architekt eine Freude», und diese Freude vermittelt er auch dem schreibenden Besucher.
Text: Meinrad Gschwend
Verwendete Baumaterialien
Peter Sulser
In einer Schreinerei aufgewachsen, eine Lehre als Hochbauzeichner absolviert, mehrere Jahre als Bauplaner und Musiker engagiert, Weiterbildungen absolviert und seit 1994 mit Nachdiplom zum Architekten/Baubiologen SIB tätig. Seit 1999 mit eigenem Architekturbüro in Hinwil ZH. Seither realisiert er Neu- und Umbauten nachbaubiologischen und bauökologischen Kriterien sowie Renovationen von denkmalgeschützten Bauten, energetische Gebäudesanierungen sowie Schallschutzmassnahmen. Zunehmend wichtig wurden ihm in den letzten Jahren soziale und gemeinschaftliche Wohnstrukturen wie beispielsweise Mehrgenerationenhäuser und Gemeinschaften/Nachbarschaften. Einen hohen Stellenwert misst er den natürlichen Baustoffen, dem Verzicht auf Schadstoffe sowie der Vermeidung von technischen Störfeldern bei. Die berufliche Tätigkeit als Architekt und Baubiologe führte ihn immer wieder dazu, der Musik des Lebens zu lauschen, gestalterische Herausforderungen anzunehmen und diese im Sinne der Kunden umzusetzen. «Es ging mir nie darum einfach Aufträge zu generieren damit ich Arbeit habe, sondern darum, moderne, attraktive, gesunde Lebensräume für die Bewohner:innen zu schaffen,» blickt er auf seine berufliche Tätigkeit zurück.