„Schaffhausen birgt manchmal ungeahnte Schätze. Und so wussten wir zunächst gar nicht, wo genau diese Parzelle denn nun liegt, als wir die Anfrage der Bauherrschaft erhielten,“ erklärt Michael Solenthaler. „Obwohl wir beide die Stadt sehr gut kennen, war uns das steile Hanggrundstück in der Weinbergstrasse bisher nicht als möglicher Bauplatz in Erscheinung getreten. Doch die Herausforderung, an einem so anspruchsvollen und faszinierenden Ort zu bauen, hat natürlich unser Interesse geweckt“, ergänzt Diego Zanghi.
Im Gespräch mit den Architekten wird sofort spürbar, dass die Chemie zwischen den beiden stimmt. Ihre Freundschaft, die sie seit Jahrzehnten pflegen, zeigt sich in der respektvollen Gelassenheit, mit der sie einander begegnen. Sie geben sich Zeit, um in Ruhe auszureden, stellen Fragen und hören aufmerksam zu.
Nach gemeinsamen Lehr-und Wanderjahren trennten sich jedoch erst einmal ihre Lebenswege, auch wenn sie stets in Verbindung zueinander blieben. Michael Solenthaler ging zunächst auf Reisen und bildete sich später zum technischen Kaufmann weiter, um dann die gestalterische Berufsmatura zu absolvieren. Nach einem weiteren langen Auslandsaufenthalt schloss er die Ausbildung zum Baubiologen ab und machte sich 2004 selbständig, wobei er gleich mit mehreren Neubauten in der Umgebung von Schaffhausen loslegen konnte.
Diego Zanghi hingegen studierte Architektur, zunächst in Winterthur, um nach einem Austauschjahr in Berlin seine Ausbildung mit einem Master an der University of Arts in London zu komplettieren. Nachdem er mehrere Jahre als Projektarchitekt in Zürich und London gearbeitet hatte, machte er sich 2009 ebenfalls selbständig.
Ab dem Jahr 2017 realisierten die Freunde mehrere Bauprojekte in Zusammenarbeit, wobei sich ihre Synergien auch im Berufsleben als äusserst positiv erwiesen. Während Diego den Fokus auf die Konzeption, den Städtebau und die Gestaltung legte, konzentrierte sich Michael eher auf die baubiologischen Aspekte und die Umsetzungsprozesse.
„Als wir den Auftrag für den Wohnpavillon erhielten, waren wir bereits ein eingespieltes Team. Unser Miteinander verlief von Beginn an ganz ausgezeichnet und verfeinerte sich im Laufe des gemeinsamen Wirkens noch. Auch mit der Bauherrschaft entwickelte sich in dieser Konstellation eine tragfähige Partnerschaft; wir erlebten sehr positive Grundenergien und ein wunderbares Arbeitsklima. Das Ehepaar hatte sich bereits intensiv mit dem Grundstück auseinandergesetzt, da sie seit Jahren in einem Mehrfamilienhaus neben der Parzelle am steilen Sonnenhangwohnten. Ihre Faszination für den Ort wurde durch die Verbundenheit mit dem Quartier und seinen Bewohnern noch weiter vertieft“, erzählt Michael Solenthaler.
Von Anfang an hatten sie konkrete Vorstellungen von ihrem neuen Zuhause, das auf jeden Fall in baubiologischer Qualität und im Sinne der Nachhaltigkeit ausgeführt werden sollte. Und so liessen sie sich gemeinsam mit den Architekten auf einen umfassenden Projektentwicklungsprozess ein.
„Unsere Auftraggeber zeichnen sich nicht nur durch ihre Fähigkeit aus, Gedanken präzise zu formulieren und Entscheidungen klar zu treffen, sondern auch durch ein sicheres Bauchgefühl. Auf diese Weise konnten sie nicht nur rational, sondern auch intuitiv die massgeblichen Kursvorgaben setzen. In regelmässigen Abständen trafen wir uns zu Besprechungen, oder auch um gemeinsam Objekte zu besichtigen und Ausstellungen zu besuchen, wobei sie sich intensiv mit unseren Ideen und Vorstellungen auseinandersetzten“, berichtet Diego Zanghi.
Nach umfassenden Varianten-Studien entschieden sich die Beteiligten dafür, das topologisch anspruchsvolle Grundstück im ehemaligen Rebhang maximal zu verdichten. Dieser Schritt war sinnvoll, um eine optimale Flächennutzung zu erzielen und den Eingriff durch die grösstmögliche Wertentfaltung zu begründen. Dabei war es von entscheidender Bedeutung, die städtebauliche und ökologische Identität des Ortes zu wahren, wie etwa die Lebensqualität der Nachbarn nicht zu beeinträchtigen oder auch den geschützten Baumbestand sinnvoll in das Raumkonzept zu integrieren.
Aus diesem Grund bildete bewusste Zurückhaltung ein Leitmotiv des Projektes. Mit Blick auf die umgebende Punktbebauung aus den 1930er Jahren und die prägnanten Linden auf dem Grundstück galt es, das Volumen behutsam in den bestehenden Kontext einzuweben. Es entstand der Anspruch, kein Selbstverwirklichungs-Einfamilienhaus zu schaffen, sondern einen nachhaltigen Lebensraum zu gestalten, der über Generationen hinweg Bestand und Gültigkeit hat. In diesem Sinne wurden auch hohe Massstäbe an die Bau- und Aufenthaltsqualität des Projektes gesetzt, denn der Wert dieses Ortes sollte für eine lange Zeit bewahrt bleiben.
„Bei diesen grundlegenden Themen ist eine Pauschalisierung nicht angebracht. Nach dem Grundsatz einer verantwortungsvollen Planung haben wir uns mit allen Aspekten eingehend auseinandergesetzt und aus den spezifischen Parametern schliesslich das Projekt herausgeschält. Denn jede Bauaufgabe erfordert einen komplett individuellen Ansatz“, erklärt Michael Solenthaler.
„Nachdem die architektonische Typologie des Gebäudes gefunden war, wurde uns bewusst, dass auf der schmalen Parzelle, die eine äusserst exakte Setzung erfordert, ein schlankes, hohes Bauwerk kohärent wäre, das sich fliessend mit dem umgebenden Grünraum verschränkt“, ergänzt Diego Zanghi.
In diesem Sinn war eine sorgfältige Auswahl der Materialisierung von entscheidender Bedeutung. Nach der eingehenden Beschäftigung mit verschiedenen Optionen trafen die Architekten gemeinsam mit der Bauherrschaft die Entscheidung, auf Schweizer Mondholz zu setzen. Dabei gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Appenzeller Zimmermeister Hannes Nägeli als äusserst wertvoll. Auf die Fertigung von Vollholzelementen spezialisiert, erwies er sich als hervorragender Partner für das Vorhaben. Seine profunde Fachkenntnis und langjährige Erfahrung trugen massgeblich dazu bei, die Umsetzung des ambitionierten Vorhabens erfolgreich zu realisieren.
Aufgrund seines klaren Bekenntnisses zu Regionalität und Nachhaltigkeit arbeitet er ausschliesslich mit einheimischen Forstbetrieben zusammen, welche die Bäume in einem Umkreis von 30 km fällen. Nachdem das gesägte Holz etwa ein Jahr behutsam an der Luft getrocknet wird, erfolgt die sorgfältige Verarbeitung in seinem Stammwerk in Gais. Dazu werden kreuzweise gefügte Brettlagen zu statisch stabilen Massivholzscheiben gefertigt, wobei diese Bauteile keine Leime, Metalle, Folien oder Lacke enthalten, sondern einzig durch eine patentierte Technik mit Buchendübeln verbunden sind.
Dieses Verfahren entwickelte der Firmengründer in langjähriger Tüftelarbeit gemeinsam mit seinem engagierten und kreativen Team. Das Ergebnis sind massgeschneiderte Decken-, Boden- und Wandkonstruktionen, die mit modernster CNC-Technik hergestellt werden. Die Elemente zeichnen sich nicht nur durch ihre hervorragenden Wärmedämmeigenschaften aus und sind atmungsaktiv sowie diffusionsoffen, sondern bieten auch hochwirksamen Brand- und Schallschutz. Ein weiteres wesentliches Kriterium für den Einsatz der Module ist ihre rasche, effiziente und präzise Montage auf der Baustelle. Diese Tatsache stellte auch beim Bauprojekt in Schaffhausen ein wichtiges Argument dar, denn trotz der anspruchsvollen Topographie und begrenzten räumlichen Verhältnisse durfte die Zufahrtsstrasse zu den dahinter liegenden Einheiten nicht blockiert werden.
Wenn es darum geht, qualitativ hochwertige und dauerhafte Strukturen zu schaffen, die den Anforderungen der Zeit standhalten, ist Mondholz die bevorzugte Wahl von Hannes Nägeli. Aufgrund einer Vielzahl von bemerkenswerten Eigenschaften wird es sowohl in der traditionellen wie auch zeitgenössischen Zimmermannskunst besonders geschätzt.
Denn es ist durch aussergewöhnliche Trockenheit, Dichte und Härte gekennzeichnet, weshalb es weitgehend rissfrei bleibt und nur geringe Schwund- oder Quellveränderungen aufweist. Im Vergleich zu herkömmlichem Holz zeigt es eine ausgesprochen geringe Neigung, sich bei feuchten wie trockenen Bedingungen zu verziehen oder zu verformen, was die präzise Ausführung von architektonischen Details ermöglicht.
Seine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen Fäulnis und der geringere Proteingehalt machen es unempfindlich gegenüber Pilz- und Insektenbefall, wodurch Haltbarkeit und Lebensdauer erheblich verbessert werden. Zudem bewahrt es seine Formstabilität und Unversehrtheit über einen langen Zeitraum, selbst wenn es den Naturelementen ausgesetzt ist.
Darüber hinaus besitzt es auch erhöhte Feuerbeständigkeit, da es langsamer brennt und eine geringere Flammenausbreitung zeigt, wodurch es zu einem sicheren Material für Bauwerke wird, bei denen Brandschutz eine entscheidende Rolle spielt.
Um nach altem Brauchtum das Mondholz fristgerecht zu entnehmen, wird häufig ein Verfahren angewandt, das als „Ringeln“ bekannt ist. Anstatt die 150 bis 200 Jahre alten Tannen und Fichten sofort zu schlagen, werden sorgfältig schmale Streifen rund um die Stämme gefräst. Denn durch das Entfernen der Rinde wird die lebenswichtige Energie- und Nährstoffversorgung in die Krone unterbrochen, die Waldriesen bleiben jedoch vorerst noch stehen. Ihnen werden nun vier bis sechs Wochen Zeit zum Ruhen gewährt, in denen sie allmählich einen grossen Teil der gespeicherten Flüssigkeit verlieren. So können sie sich aus ihren symbiotischen Lebensnetzwerken verabschieden, bevor sie schliesslich gefällt werden.
Diese Methode erfordert nicht nur Achtsamkeit und Respekt vor der Natur, sondern auch Geduld – eine Haltung, die heute selten geworden ist. Denn der richtige Zeitpunkt, um die Bäume zu schlagen, oder in diesem Fall zu ringeln, muss unter Berücksichtigung kosmischer Einflüsse abgewartet werden. Auf Grund jahrhundertelanger Erfahrung weiss man, dass sich dafür nur wenige Tage während der Wintermonate eignen. Der Mond muss in der abnehmenden Phase und in einem bestimmten Tierkreiszeichen stehen.
Da es eine grosse Belastung für den Wald darstellen würde, all das benötigte Bauholz innerhalb dieses kurzen Zeitfensters zu schlagen, erweist sich das Ringeln als schonende Alternative zum schnellen Fällen, auch wenn es einen Mehraufwand bedeutet. Denn so können die Stämme gestaffelt geschlagen werden, und die Arbeit darf sich nach äusseren Bedingungen wie der Witterung richten, um keine Sicherheitsrisiken oder Landschäden zu verursachen. Auf diese Weise wird eine verantwortungsvolle Bewirtschaftung des Waldes gewährleistet, die den Forst gesund und robust erhält.
Der Bauprozess in der Weinbergstrasse startete schliesslich im Sommer 2021 mit der Errichtung des Untergeschosses in Massivbauweise, was aufgrund des steilen Geländes eine technische Herausforderung darstellte. Um den notwendigen Halt zu gewährleisten, waren Erdanker und Mikropfählungen für die Fundation erforderlich. Durch den flüssigen Zusatzstoff Pneumatit gelang es, eine feine biologische Aktivität sowohl in den zementbasierten Konstruktionsmaterialien als auch den mit Calziumsulfat gebundenen Unterlagsböden zu verankern. Diese Massnahme bewirkte, das Wohlbefinden der zukünftigen Bewohner zu steigern.
Auf die betonierte Kellerdecke stellten die Spezialisten von Nägeli Holzbau schliesslich die Rohkonstruktion aus Mondholzelementen, welche die ambitionierten Zimmerleute innerhalb von nur zwei Arbeitstagen aufrichteten, da sie bis in die Nacht hinein arbeiteten.
Die tragenden Aussen- und Innenwände sind aus Vollholz gefertigt, ebenso wie die Geschossdecken und das Flachdach, die aus leimfrei verdübelten Brettstapeln ausgeführt wurden. Die nicht-tragenden Innenwände bestehen hingegen aus beidseitig beplankten Holzständern, welche mit Lehm verputzt sind, dessen natürliche Farbpalette durch die Mischung der verschiedenen Sorten entsteht.
Um wertvolle Rohstoffe zu schonen, entschieden sich die Architekten für eine mehrschichtige Fassadenstruktur. Die statisch erforderliche 20 cm dicke Wandkonstruktion wurde mit einer Holzfaserdämmung versehen, die einen energieeffizienten U-Wert garantiert. Auch diese Schicht besteht zu 99% aus biologischen Materialien, da sie nur geringe Mengen an Bindemitteln enthält, wie auch die Fenster aus Naturholz.
Nach ausführlichen Diskussionen wurde letztendlich eine Aussenhaut aus wetterresistenten Wellelement-Platten gewählt, weil Unterhalts- und Wartungsarbeiten in der extremen Hanglage nur mit einem Mobilkran auszuführen wären. Die ondulierende Struktur und zurückhaltende Farbgebung der Hülle treten in einen visuellen Dialog mit dem umgebenden Baumbestand.
In enger Abstimmung mit der Bauherrschaft legten Michael Solenthaler und Diego Zanghi sowohl beim Entwurf, als auch bei der Bauausführung besonderen Wert auf eine angenehme und gesunde Wohnatmosphäre. Denn atmungsaktive Konstruktionen und Materialien schaffen eine natürliche Regulation der Luftfeuchtigkeit und sorgen für ein ausgeglichenes Klima.
Die Verwendung von weitgehend unbehandelten Oberflächen trägt dazu bei, chemische Belastungen zu minimieren und einen behaglichen Lebensraum zu schaffen. Die sorgfältige Planung der bauphysikalisch geprüften Aufbauten gewährleistet eine langfristige Erhaltung der Bausubstanz.
Im Bezug auf Schallbelastungen wurde eine durchdachte akustischen Entkopplung gebäudetechnischer Anlagen und Installationen umgesetzt. Erhöhte Dämmwerte in Trennwänden ermöglichen ruhige Rückzugsorte innerhalb des fliessenden Raumkonzeptes.
Auch Licht und Farbe spielen eine zentrale Rolle für das Wohlbefinden der Bewohner. Die Ausrichtung auf ein hohes Mass an natürlicher Beleuchtung aus verschiedenen Himmelsrichtungen wurde trotz Hanglage und Strassennähe angestrebt. Dabei konnte der alte Baumbestand als organischer Lichtfilter genutzt werden.
Der Aspekt des Elektrosmogs wird durch die gezielte Planung der Installationen berücksichtigt. Insbesondere im Wohn- und Schlafbereich konnten elektrotechnische Anlagen abgeschirmt werden, um eine störungsfreie Umgebung zu schaffen. Auch WLAN wurde bewusst vermieden und durch eine spezielle LAN-Verteilung mit Homefiber ersetzt, der elektromagnetische Strahlungen reduziert. Weitere Beachtung wurde der konsequenten Abschirmung des Wechselrichters der PV-Anlage geschenkt.
Das anspruchsvolle Bauprojekt im ehemaligen Rebhang von Schaffhausen ist ein bemerkenswertes Beispiel für den Zusammenklang von architektonischer Vision und baubiologischer Verantwortung. Die enge Kooperation zwischen dem eingespielten Entwurfsteam Michael Solenthaler und Diego Zanghi, einem offenen wie auch beherzten Bauherrenpaar sowie den virtuosen Holzbauern um Hannes Nägeli führte zu einem Gebäude, das ein tiefgreifendes Verständnis für Nachhaltigkeit, Gesundheit und Wohnqualität widerspiegelt. Die Verwendung von Appenzeller Mondholz als zentrales Konstruktionsmaterial unterstreicht nicht nur die regionale Verbundenheit, sondern auch das Engagement für eine hochwertige, langlebige und umweltfreundliche Bauweise. Das kleine architektonische Meisterwerk zeigt, wie durch eine ganzheitliche Herangehensweise Lebensraum geschaffen werden kann, der Mensch und Umwelt gleichermassen respektiert und bereichert.
Text: Tina Mott
Die Architekten:
Michael Solenthaler
weitsicht architektur - baubiologie
Wagenstrasse 6, 8200 Schaffhausen
Diego Zanghi Architects Gmbh
Räffelstrasse 11, 8045 Zürich
Der Holzbauer:
Nägeli AG
Zwislenstrasse 27, 9056 Gais