Gab es 2015 schweizweit noch 53‘253 Landwirtschaftsbetriebe, so schrumpften sie 2016 auf 52‘263. In ähnlichem Rhythmus gaben Bauern in den letzten zehn Jahren jährlich 1000 Betriebe auf. War erst das Vieh verkauft, der Boden verpachtet, so wurde alsbald der Stall abgeprotzt, noch besser jedoch für einen neuen Zweck umgebaut. So entstand an vielen Orten neuer Wohnraum ohne zusätzlichen Landverschleiss.
Ob angebaut oder freistehend, traditionelle Ställe haben eine nahezu einheitliche funktionelle Einteilung. Ebenerdig ist das Vieh untergebracht, darüber befindet sich die Heubühne. Was die Konstruktion betrifft, so wurden die freistehenden Ställe der bündnerischen Siedlungen vielfach ganz in holzbauweise erstellt, vermögendere Bauern bevorzugten eine Mischbauweise mit zumindest massivem Sockelgeschoss. Die heute für den Umbau genutzten Ställe aus den letzten Jahrhunderten wurden so gebaut, dass im Anbindstall des Sockelgeschosses das Vieh die kalten Wintermonate mehrheitlich hier verbringen konnte. Dabei benötigte das gedrungene robuste Braunvieh im Vergleich zu den heutigen Hochleistungskühen ungleich weniger Platz, so dass mit Bedacht auf den Wärmehaushalt diese Anbindställe eine niedrige Höhe aufweisen. Der Heuboden darüber in Holzkonstruktion war dann vergleichsweise eine grossvolumige Konstruktion, auch um die nötige Durchlüftung zu ermöglichen.
Die hier vorgestellten Umbauten basieren alle auf diesem Stallbautypus, wobei in der Ausgestaltung sich die Bündner-Ställe mit den rudimentären, aber sehr charakterstarken Rundholzstrickbau von dem hier vorgestellten Wohnstallhaus aus dem Seeland in Kerzers stark unterscheiden.
Ställe dieser Art sind eine inspirierende Herausforderung sowohl für Architekten wie auch für ihre Bauherren. Während sich das Sockelgeschoss für Dienstleistungen wie Werkstätte, Aufbewahrungsräume, Keller und sanitäre Techniken eignen, öffnet sich nach oben ein oft ungewöhnlich grosszügiger Raum, der sich zu eigentlichen Wohnlandschaften einlädt. Eine weitere reizvolle Aufgabe ist es, historisch wertvolle Holzkonstruktionen wie Dachstühle zu erhalten und als Ausdrucksmittel in die neue Nutzung zu integrieren. Wie dies unterschiedlich zu interpretieren ist, zeigen die Umbauten des Architekturduos Gujan + Pally sehr eindrücklich.
Den Auftrag für den ersten Umbau des Clavau Dulezi in Trun, erhielten Gujan + Pally von Eva Cavelti, einer Kollegin von Marlene Gujan während Ausbildungszeit zur Hochbauzeichnerin in Chur. Das Resultat des Umbaus war offensichtlich so überzeugend, dass bald darauf weitere Aufträge folgten.
Clavau Dulzei – Clavau ist Romanisch und steht für Stall – verlockte in seiner beachtlichen Grösse zwar einem spektakulären, vielseitigen Umbau in ein Einfamilienhaus. Zugleich war es auch ein heikles Unterfangen, damit der rund 25 Meter lange und 12 Meter breite wie hohe Stall mit dem voluminösen Heuboden nicht in einen halligen Loft mutierte. Die Devise des Architekturduos, möglichst viel alte Substanz zu erhalten und tragende Elemente nicht zu erneuern, legte es nahe, die bestehende Dreiteilung des Längsbaus zu erhalten. Dieser wird durch Stützmauern bis zum Satteldach in drei gleichmässige Abschnitte geteilt, deren Strickholzwände der Heubühne bergseitig mit vertikalen, talseitig mit horizontalen Holzverschalungen ausgekleidet sind. Die Dreiteilung ermöglichte es den Architekten dem Haus eine effektvolle Wohndramaturgie zukommen zu lassen. Der Zugang erfolgt im Osten über die ehemalige Auffahrt zur Heubühne, dessen erstes Drittel mit dem noch tragenden Holzboden erhalten wurde und nun als Parkraum für Zweiräder dient. Der eigentliche Eintritt ins Haus erfolgt im zweiten Drittel, der zunächst in ein grosszügiges Entree mündet, ohne Einblick in den Wohnraum zu gestalten, wohin man durch zwei schmale Korridore gelangt. Dazwischen sind Stauraum und sanitäre Anlagen untergebracht. Das Entree überrascht links durch eine geräumige seitliche Loggia. Nach den Korridordurchgängen öffnet sich dann der über zwei Etagen und bis zu Dachfirst hohe Wohn- und Essraum, der nach Westen zum Tor offen, seitlich und hinten durch ein Galeriegeschoss eingegrenzt ist.
Das Resultat dieser Anordnung erweckt gleichzeitig das Gefühl von Grosszügigkeit und heimeliger Raumgestaltung insbesondere in der Wohnzimmer- und Esszimmernische. Der hohe Raum in der Mitte mit dem Blick auf die Galerie ist gleichsam das Zentrum ihrer Bewohner. Je zu beiden Seiten befinden sich im Obergeschoss die vier Schlafzimmer mit Dachschräge für Kinder- und Elternschlafzimmer, mittig das komfortable Badezimmer. Diese Inszenierung des Wohnens mit der seitlich der Esszimmernische anschliessenden Küche betont das Zusammenleben einer Familie, deren Mitglieder sich zwar zurückziehen können, aber jederzeit auf Rufweite erreichbar sind.
Die Ausstrahlung, die 17 Jahre nach der Erstellung anhält, ist auch der integrierten Scheunenstruktur zuschreiben. Die Rundhölzer in Strickbauweise und die Verschalungen mit Aussparungen blieben als Aussenhaut inklusive den sie einkleidenden Stützmauern erhalten. «Wir mussten die tragende Struktur nicht neu machen», führt Marlene Gujan aus. «Das ganze Haus steht auf den Bruchsteinmauern des Stalls, dessen Bodenplatten durch neue ersetzt wurden.» Der Umbau bestand im Prinzip darin, ein gut gedämmtes Haus mit geringem Abstand zur Aussenhülle in die Heubühne zu setzen. Prägend für das besondere Cachet im Wohn- und Schlafbereich ist dabei der Blick nach aussen durch die intakte Holzkonstruktion, mit dem auf der Talseite erhaltenen Histen-Holzstäbe, über die weiland das Korn zum Trocknen gelegt wurde.
Es war der kleinste Stall in Cavorgia, dem kleinen Weiler von Tujetsch (Sedrun), der heute noch ein paar Dutzend Bewohner zählt. Zwar im traditionellen robusten Rundholz-Strickbau erstellt, konnte er den Windböen von 268 km/h des Orkans Vivian vom 27. Februar 1990 nicht standhalten. Das Dach wurde abgedeckt, die Wände flachgelegt. Der Wiederaufbau mit konventionellen Bretterverschlag nahm ihm den typischen reizvollen Charakter des Strickbaus und war bald als Stall auch nicht mehr zu gebrauchen. Von der Grösse jedoch ideal, um für ein Wochenendhaus umgebaut zu werden, als Naherholungsort vom hektischen Alltag. In diesem Sinne kaufte es Claudia Vögtli-Schmid, die mit ihrem Mann seit Jahrzehnten das Jugendhotel Alpina in Sedrun führt. Naheliegend war es für die Planung Gujan + Pally zu gewinnen, denn Conrad Pally wohnte nicht unweit eingangs des Lukmanierpasses in Curaglia, wo das Architekturduo bereits verschiedene Häuser, darunter ein Hotelumbau erstellt hatten.
Den Charakter, den der Stall nach dem Sturm verloren hatte, gaben ihm die Gujan + Pally in einer Neuinterpretation mit lokalen Verzierungselementen wieder zurück. Und fügten ein neues Element in massivem Beton hinzu, weil das Treppenhaus in die umgebaute Heubühne aus Brandschutzgründen massiv zu bauen war. Die überzeugend verwirklichte Idee war, das als Wohnraum umgebaute Obergeschoss mit einer speziellen mit Aussparungen verzierten vertikalen Holzbeplankung zu versehen, eine Verzierung, die als Muster auch die Betonaussenwand des Treppenhauses schmückt. Conrad Pally dazu: «Es sind Verzierungen, die in ähnlicher Form vielerorts an den Bündner Holzhäusern zu finden sind.»
Der Stall behielt so seinen kleinräumigen Charakter, hebt sich nun aber stolz mit der Verzierung hervor, gleichsam stolz betonend, nun ein Wohnhaus zu sein. Darin hat es Platz für einen stattlichen Wohn- und Essraum sowie Küche und seitlich des Wohnraums angeschlossenes Schlafzimmer. «Bis jetzt haben wir uns hierhin oft nur am Wochenende zurückgezogen, bald aber werden wir für immer hier wohnen.» Spätestens dann, wenn sie den Hotelbetrieb in neue Hände gegeben haben. Besonderes ist der für die Gegend typische Specksteinofen im Wohnraum. Die sichtbaren Holzbalken des Dachstuhls, der Dachkonstruktion und des Riemenbodens, die hellen Wände sowie das Oberlicht tragen viel zum gemütlichen Cachet bei.
Ähnlich wie Cavorgia, aber noch etwas kleiner ist der Weiler Baselgia, den man auf dem Weg von Disentis über den Lukmanier kurz nach Curaglia verpasst, weil Baselgia etwas versteckt talwärts Richtung jungen Vorderrhein liegt. In Baselgia hat Michel Pfeiffer glückliche Kinderjahre verbracht. Als Fotohistoriker und Informationswissenschaftler in Chur und Krems tätig, zog es ihn jedoch immer wieder an den glücklichen Ort zurück, wo er einen Stall mit noch soliden Grundmauern und Holzbalken, aber aus den Fugen geratenen Dachstock erwarb. Der erste Eindruck im Innern des 2002 durch Gujan + Pally, teils unter Mitwirkung des Bauherrn, erstellten Umbaus ist eine simultane Reise durch verschiedene Zeitzonen: ehemalige Valser Heubewirtschaftung, kunsthandwerkliche Fertigkeit, Kulturgeschichtsverständnis plus moderne funktionale Technik. Die Prägung im Wohnbereich der Heubühne geben die massiven Rundbalken, welche die Heubühne in drei Abschnitte unterteilten. «Dies drängte sich auf für eine Aufteilung unter den Erben», erklärt Pfeiffer, der den historischen Hintergründen nachgegangen war. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, diese Balkenlage zu verändern. Sein Credo: «An einem solchen Ort zu leben, der Geschichte und Leben abbildet, ist bereichernd und sinnvoll.» Nach den Balken ausgerichtet liegen Esszimmer und Küche auf der Südseite, dahinter Wohnnische und ein Schlafzimmer, darüber eine Galerie als Stau- und Liegeraum, im Nordabschluss eine Bibliothek. Ausser dem in sich geschlossenen Schlafzimmer, unterteilen lediglich die Balken die drei Nutzungsflächen und lassen so die Heubühne grösser erscheinen als sie in der Tat ist.
Dieser Umbau widerspiegelt fast schon ganz das Credo von Gujan + Pally, deren Arbeiten zu 80 % Umbauten sind, nach der Devise, die Marlene Gujan auch für Neubauten aufstellt: «Wir wollen den Charakter der Region lesen und einbauen, das ist fern von Heimatschick.»
Im unscheinbaren 1826 erstellen Wohnstallhaus in Kerzers wohnten Eveline und Daniel Krähenbühl bis 2011 im niedrigem dunklen Erdgeschoss strassenseitig, zur Vorderen Gasse hin just neben dem Eingang zur gleichnamigen Bäckerei. Also einen Katzensprung entfernt für Bäcker Krähenbühl, um morgens um 2 Uhr in der Backstube zu stehen.
Doch nach dem Umbau durch die Baukünstler aus Lenzburg, durch die Baubiologen Roland Hüsser und Stefan Schmid, befindet sich ihr Eingang hinten und eröffnet den Blick zu einem Wohnerlebnis auf der Heubühne von 200 m2 plus der rechtwinklig angeschlossenen Heubühne mit nochmals 50 m2 Fläche. Bäcker Krähenbühl erinnert sich, wie hier weiland das Heu vom Tenn her hinaufgezogen wurde. Den Baukünstlern vertrauten Krähenbühls die Umgestaltung an, nachdem sie deren Umbau des Horenhofs im aargauischen Küttingen in einer Zeitschrift gesehen hatten. «Wir waren beeindruckt von der Raumgestaltung und der Symbiose zwischen neu und alt», erinnert sich Eveline Krähenbühl. Von Baubiologie hatten sie damals keine Ahnung. Wirklich verblüfft waren sie aber, als Hüsser nach der ersten Besichtigung ihnen ein ganzes Skizzenbuch mit möglichen Umbauvarianten lieferte. «Die grösste Herausforderung war, in die Heubühne unter dem steilen Satteldach genügend Licht hineinzubringen», sagt Hüsser. Denn die strassenseitig gelegene Heubühne befindet sich über drei Geschosshöhen ganz im Dachbereich. Überzeugend gelang die Lichtführung, indem die rechtwinklig gelegene Heubühne als Esszimmer und Küche genutzt und in beiden Flanken mit grosszügig Fenstern, respektive Schiebetüren bestückt wurden. Markantes mittiges Verbindungsteil zur strassenseitigen Heubühne ist eine imposante Cheminée-Skulptur, dessen Aufbau über der Feuerstelle im kräftigen Rot gehalten ist und schon ein Teil des Wohnbereichs ausmacht, dahinter befinden sich Kinderzimmer, Ankleide, linksseitig ein raffinierter Wellnessbereich mit Sauna und Badewanne, in deren Trennwand zum Wohnbereich ein Aquarium integriert ist. Rechts für die Treppe in die Galerie mit Spielzimmer, offenem Bürobereich und Elternschlafzimmer unter Dachschräge Bauherr Krähenbühl hatte auch die Bauleitung inne mit wöchentlichem Besuch des Architekten und Anleitungen auf elektronischem Weg. Heute schwärmen Krähenbühls vom baubiologischen Sumpfkalkschlämmputz und genialen Einzellösungen mit Schränken, Nischen und Einbau des Aquariums.
Hüsser war sich bewusst, dass nicht alle ihrer baubiologischen Ideen ihren Niederschlag finden würden, auf den marokkanischen Kalkverputz Tadelak wurde verzichtet, den Küchenausbau nahmen Krähenbühls selbstständig vor. Doch was zählt und beeindruckt ist wie der gestalterische Sinn für Wohndramaturgie, respektive der Sinn für Aufteilung der Räume in Szene gesetzt wurde. Baukünstler, wofür der aus dem ersten Eindruck gezeichnet Skizzenschatz spricht, ist keine abwegige Bezeichnung. Hüsser und Schmid beim Erstellen und diskutieren von Modellen, so stellen sie sich auf ihrer Webseite vor. Das Modell hat auch für Marlene Gjuan seine unschätzbare Bedeutung: «Man sieht viel mehr an einem Modell als an einer Visualisierung, und man sieht auch besser, was funktioniert und stimmt.» Entstanden sind auf diese Weise Umbauten, die Spannung zeigen und dennoch beispielhaft harmonisch wirken.
Text und Bilder: Christian Bernhart